Hallo zusammen,
eine echt interessante Diskussion. Bei jedem Beitrag habe ich das Gefühl, dass etwas richtiges dabei ist.
Fakt ist, dass der Tourismus, vor allem in islamischen Ländern, auf politische Ereignisse hochsensibel reagiert. Und wer will es denn einem europäischen Touristen verübeln, wenn er auf Grund seines subjektiven Sicherheitsgefühls (11. September) keine Reise in ein islamisches Land bucht. Die Türkei will ich da mal außen vor lassen, weil es in der europäischen (und im speziellen in der deutschen) Wahrnehmung nicht als arabisches, sondern als ein europäisch orientiertes Land angesehen wird. Nato-Mitgliedschaft und die Bestrebungen EU-Mitglied zu werden sind nur zwei Stichworte.
In der Bewertung des Tourismus in Marokko pflichte ich vor allem Jocim bei. Im Moment wird speziell in der Hauptdestination Agadir ein Massentourismus akzeptiert, der kurzfristig Wohlstand bringen soll. Der Nischentourismus, den Thomas Kasan und Peter Sachse erfolgreich praktizieren, bleibt volkswirtschaftlich ohne große Auswirkungen. Das ist ein Individualtourismus den es auch im Jemen, in Tibet oder in Honduras gibt. Zielgruppe sind eher gebildete und interessierte Menschen, die nicht auf Grund von Bild-Zeitungs-Überschriften ihren Urlaub planen, sondern die etwas von Land und Leute sehen wollen und sich mit den Zielgebieten rational auseinandersetzen. Der Unterschied zwischen dem Jemen, Tibet oder Honduras zu Marokko ist aber, dass der Massentourismus diese Destination auf Grund guter und vieler Flugverbindungen bezahlbar macht. Der Individualtourismus partizipiert meines Erachtens deutlich mehr vom Massentourismus als umgekehrt. Die aktuellen Auswirkungen merkt der Individualtourismus aber nicht so schnell.
Ich glaube das Marokko vor allem zwei Probleme in der Tourismusentwicklung lösen muss, damit das Land davon langfristig profitiert. Und die sind sicherlich auch wesentlich vielschichtiger, als ich sie hier kurz darstellen kann.
Zum einen behaupte ich mal, dass der marokkanische Tourismus wahrscheinlich in Europa mehr Menschen satt macht als in Marokko selbst. Die Investoren sind nämlich überwiegend aus Europa und lassen sich auch aus Europa vermarkten. Als ich in Agadir war wohnte ich in einem Hotel der sahara-group. Eigentümer war ein Franzose. Und auch hinter den meisten anderen Hotels stecken zum überwiegenden Teil Investoren aus Europa. Diese bieten zwar Arbeitsplätze, aber das Kapital bleibt nicht in Marokko. Mittel werden meist aus Marokko herausgezogen. Das hängt zweifelsfrei auch mit dem Mangel an Investitionsmitteln im eigenen Land zusammen, aber volkswirtschaftlich wird dies Marokko nicht voran bringen. Man sollte also versuchen das vorhandene auf viele Personen gestreute Kapital nutzbar zu machen. Im Bereich der Windparks in Norddeutschland hat man zum Beispiel Bürgerwindparks gegründet, an denen sich vordringlich nur Bürger aus der Region beteiligen konnten. Besonders Landwirte investierten in diesen Bereich und leiteten damit Strukturveränderungen ein. Die Wertschöpfung und der daraus resultierende Konsum erfolgte so vor Ort.
Der zweite Punkt ist meines Erachtens ein fehlendes konzeptionelles herangehen an die Tourismusentwicklung. Es werden zwar reichlich Hotels gebaut, aber das Schaffen von Angebot bringt nicht zwangsläufig mehr Nachfrage. Die marokkanische Tourismuswirtschaft muss mit einem abgestimmten Konzept arbeiten. Hier sehe ich zwar erste Ansätze, in dem die einzelnen Destinationen individuell unter dem Gesamtdach der Tourismuszentrale unter dem Motto „ein Königreich für ihren Urlaub“ (oder so ähnlich) vermarktet werden, aber die Durchdringung ist bislang unzureichend. Wer kennt nicht die Werbung von Ägypten oder der Türkei? Aber wer kennt die von Marokko? Auch habe ich die Kampagne im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes in Marokko selbst nie gesehen. Mich würde es nicht wundern, wenn die Tourismusmanager vor Ort nicht wissen, wie das Außenmarketing des Landes aussieht. Hier müssen Strukturen (z.B. durch regionale Tourismusverbände) geschaffen werden, die explizit das Marketing ihrer Region nach außen übernehmen und in ein Gesamtmarketing mit großem Sreueffekt integrieren. Agadir wird zukünftig Destination für Pauschaltouristen bleiben, das wird man kaum noch ändern können. Aber man sollte darauf achten, dass man nicht im eigenen Land Konkurrenz dazu aufbaut. Neue Zentren, die meines Wissens im Süden entstehen sollen, sollten andere Zielgruppen anvisieren. Marokko ist vom Image her ein Billigreiseland. Dabei bietet das Land eine Landschaft und eine Kultur, die gerade für höhere Segmente interessant ist. Man sollte in Marokko nicht das Ziel haben Tunesien nachzueifern.