Original geschrieben von: Swiss_John
Ach, Herr Najib, wüteln Sie weiter, konstruieren Sie brav "Schicksalgemeinschaften" und seien Sie weiterhin so selbstgerecht. Mit dem angesprochenen traurigen Thema haben Ihre "Zitate" so wenig wie gar nichts zu tun - Sie ergänzen einfach trefflichst das Eigenbild, das Sie hier abgeben. Ergebenst, John


Das sehe ich nicht so.

Die Überschrift dieses Threads lautet "Ägypten?" und trotz der Schlichtheit dieser Ein-Wort-Frage und im Angesicht von erschütternden Massakern einer Militär-Junta an Demonstranten, die nichts anderes fordern als ihre demokratisch gewählte Regierung wieder in ihre Rechte einzusetzen, fällt 98% der User hier nichts anderes als "Beschneidung" über drei Threadseiten ein?

Damit aber nicht genug:

wenn dann doch - spät, aber immerhin - jemand auf den Gedanken kommt, daß es bei dem "Ägypten?" Thema ausnahmsweise nicht um Beschneidung gehen könnte, dann darf trotzdem (bis auf Najib und Merlina) der Hinweis nicht fehlen, daß Demokratie erst noch gelernt werden müsse und keiner der nordafrikanischen Staaten die dafür notwendige Reife vorzuweisen hätte. Schon gar nicht die Muslimbrüder.

Das Reifezeugnis stellt dann wer aus? Und wer sagt, daß Muslimbrüder nicht demokratisch wählbar wären? Wir Deutschen oder Österreicher oder Schweizer? Wir wissen, wer wählbar ist für einen Ägypter? Wir selbst sind zwar nur unter äußersten Verlusten irgendwie zur Vernunft gekommen und haben keineswegs freiwillig, sondern mehr in Schockstarre (auch bekannt als "posttraumatische Belastungsstörung") eine fix- und fertig vorformatierte Demokratie aufgenötigt bekommen - aber wir konstatieren hier unisono, egal ob links, rechts, muslimisch oder calvinistisch oder ganz blöd, daß die Muslimbrüder auf gar keinen Fall das wären, was ein anständiger Ägypter wollen sollte?

Whatshername (die auch noch nicht in Ägypten war):

Antwort auf:
Selbst die (normalen) Ägypter sind sich nicht einig, ob sie diese Entwicklung als "gut" oder "schlecht" ansehen sollen.


Eine abenteuerliche Definition, die durchaus ihren Charme hat: wenn ich jetzt nur noch wüßte woher der "normale" Ägypter stammt (Wikipedia, eigene Anschauung, Datenbasis, Quellen). Als letzte Woche Google mal 2 Minuten offline war ist gleich 40% des Webtraffics zusammengebrochen: fällt mir dabei ein.

Dann recht hübsch verpackt von Flops eine Demokratie-Häschen-Schule:

Antwort auf:
"Demokratie ist die für ein Volk schwierigste Regierungsform. Grund: Sie fordert die höchste Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen…Diese Problemstellung existiert selbst noch in althergebrachten Demokratien. Also kann man das von einem Volk, das bis anhin nur diktatorisch geführt wurde, erst recht nicht erwarten. Eine Demokratie lässt sich nicht einfach von heute auf morgen überstülpen. Sie muss über viele Jahrzehnte erlernt werden."


Es ist ziemlich plump, wenn man anfängt hier zu propagieren - unwidersprochen - daß man selbst eine "althergebrachte Demokratie" wäre: wahrscheinlich meint Flops das von einer Geld-Wäsche zur nächsten sich hinüberrettende Überflußsystem der "althergebrachten" Schweizer Bankendemokratie. Und glaubt damit der leidigen Deutschen-Diskussion, sie sollten dochmal vor ihrer eigenen Didktatur-Türe kehren bevor sie andere Mores lehren wollen, zu entgehen: Forensoftware ist geduldig und immer, wenn einer hier die Segel streicht, taucht er schlauer und gewitzter an anderer Stelle wieder auf (glaubt er). Warten wir ab, was aus der Schweiz wird, wenn Ungarn pleite geht, dann Österreich fällt und schließlich ein Großteil der schwarzen Geldmassen sich in Luft auflöst.

Aber Flops ist ja so sprachgewandt wie sonst nur Fips, also sei es ihm verziehen: das Entlarvende ist, daß kein Eigenlob hier in diesem Forum grob genug ist, daß es nicht funktionieren würde - solange es Deutschland, Österreich oder die Schweiz trifft und nicht den dort, auf den ich mit dem Nachhilfe-Finger zeige.

Von Fips kommt dann aber doch noch eine knackige Analyse:

Antwort auf:
"Darum gewinnt bei solchen "ad hoc Demokratien" in der Regel erstmal der grösste Rattenfänger. Von einem wirklichen demokratischen Vorgang kann da nicht gesprochen werden, weil das Volk, das noch garkeine Ahnung hat, wie Demokratie eigentlich funktioniert, erst ein paarmal kräftig übers Ohr gehauen wird. Und zwar indem ihm vorgegaukelt wird, sie hätten eine freie Entscheidung gehabt und diese auch wahrgenommen."


Das ist so ziemlich die perfideste Begründung, um keine Verantwortung für das eigene Tun übernehmen zu müssen und eine exakte Beschreibung der Verfassung, in der die meisten "normalen" Deutschen sich aus ihrer Verantwortung für das massenweise Wählen eines ihrer irrsten Massenmörder stehlen wollen:

Antwort auf:
"Tatsächlich aber haben sie sich wie die Lemminge gemeinsam in den Abgrund gestürzt".


Wie wahr: das sind wir Deutsche wie wir leiben und leben - halt ein paar Jährchen her, aber so schnell vergeht ja nichts.

Nun Swiss-John mit seinem Kronzeuginnen-Programm:

ich bin dem link gefolgt mit den 80% Beschneidungen und habe ein anstrengendes Mischmasch gefunden von kruden Behauptungen, die nirgendwo auch nur den Hauch eines wissenschaftliches Nachweises vorweisen können. Bei Beschneidungsthemen, Ägypten, Marokko und Kronzeuginnen (vorzugsweise in Kanada aufgewachsen) wie Shereen El Feki genügt der Hinweis, daß sie selbst gläubige Muslima wäre: man erwartet jetzt eigentlich nur noch den Zusatz, sie hätte als Kind den Koran auswendig gekonnt - dann wäre das Klischee perfekt.

Mehr Redlichkeit braucht es für den Tagesanzeiger nicht, von einem Poster hier in diesem Forum mit Beschneidungsverlinkung wäre man überrascht, wenn es sich anders verhalten würde.

Dazu dann wieder whatshername (voller Empathie, kurz vor der 2-Sekunden-Petition):

Antwort auf:
"die menschen müssen über die gefährlichkeit aufgeklärt, die vorurteile über nichtbeschneidung müssen beseitigt und die nachteile einer beschneidung erklärt werden, am besten durch ausgebildete ärzte. die beschneidung ist auch nicht wichtig für die ausübung der religion. auch mohammed hat seine töchter nicht beschneiden lassen".


Wie ich Katrin kenne möchte sie dieses volle Programm am besten über die Toten Hosen oder die o.a. 2-Sekunden-Online-Petition verwirklichen: aber Scherz beiseite - wieviel (wenn auch naive) Abwertung einer jahrtausendealten Kultur und Nation steckt fahrlässigerweise auch in solchen Postings? Man stelle sich einen "normalen" Deutschen - oder auch nur Katrin - dabei vor, wie sie Vorteile und Nachteile der Beschneidung einem Ägypter "erklärt" (Revolutionen übers Internet, das geht, das glaubt man sofort, aber ein Youtube-Video - das ist eine unüberwindbare Hürde?). Nicht zu vergessen der Geistesblitz, daß für die Darstellung der Vorteile und Nachteile am besten "ausgebildete Ärzte geeignet wären" - was einem Ägypter nicht einfallen würde, bzw. womöglich Ägypten gar keine "ausgebildeten Ärzte" kennt (Mittelalter pur!).

Und dann einem Imam erklärt, was es mit der Beschneidung und der Religion auf sich hat: nämlich gar nichts - Mohammed persönlich weiß schon Bescheid.

Liebe Katrin, warst Du mal in Kairo? Kennst Du selbst einen einzigen Ägypter (und jetzt nicht mit einem netten jungen Mann aus Deinem Lernprogramm kommen, der uns dann Hegel erklärt oder Heisenberg oder wer das war mit der Physik und dem Blues)? Weißt Du überhaupt von welcher Nation Du sprichst?

Das sollte sich mal ein Muslim bei einem "normalen" Deutschen trauen.

Nun kommt aber Jasmin zum Threadthema zurück:

Antwort auf:
"Die Situation in Ägypten ist sehr heikel und komplex. Radikalisiert haben sich alle Fronten! Meine Meinung ist, dass weder Militär noch die islamistische Partei an die Macht soll. Das Militär darf auf keinen Fall an die Macht, aber auch die "Muslimbrüder" sind meiner Meinung nach nicht dazu geeignet, eine Regierung aufzubauen, die allen Bürgern gerecht werden kann, da a) in Ägypten nicht nur Muslime leben, b) es auch Muslime gibt, die Politik von Religion unbeeinflusst haben wollen und c) nicht überall wo Muslim draufsteht, auch islamisch gehandelt wird".


Aber auch hier "soll, darf, kann" nicht die Muslimbrüder und auch nicht das Militär an die Macht. Warum das Militär nicht an die Macht soll, erklärt sich von selbst, bei den Muslimbrüdern wird differenziert: "weil in Ägypten nicht nur Muslime leben". Das verstehe ich nicht: in Deutschland soll keine christliche Partei an die Macht (und schon gar keine Pfarrer sich zur Wahl stellen? Oder Pfarrerstöchter?), weil in Deutschland nicht nur Christen leben? Soweit ich Zahlen gesehen habe, haben alleine in München mehr als 40% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund - oft genug einen muslimischen. Was würde das im Umkehrschluß für unsere zur Wahl stehenden Parteien bedeuten?

Und das ist keine rethorische Frage: mich interessiert wirklich, wie Du Dir das praktisch auf Deutschland (Österreich, Schweiz) übertragen vorstellen würdest. Abgesehen davon, daß ich nicht weiß woher Du Dein (sicheres) Wissen über die Muslimbrüder beziehst: sonst würdest Du kaum kategorisch davon abraten, daß beide nicht an die Macht kommen sollten - das Militär nicht und die Muslimbrüder auch nicht. Die Muslimbrüder haben immerhin den Vorteil, daß sie demokratisch gewählt sind - was ja hier Konsens ist, daß es das einzig seeligmachende Modell ist, das auch auf lange Sicht Wohlstand und Frieden verspricht.

Nun zu b), daß es in Ägypten
Antwort auf:
"auch Muslime geben soll, die eine Politik von Religion unbeeinflusst haben wollen"
und schon deshalb die Muslimbrüder nicht antreten sollen. Selbst dann nicht, wenn eine Mehrheit sie gewählt hat? Auch hier würde mich mal die Übertragung (rein logisch, nicht psychoanalytisch) interessieren: auch in Österreich gibt es Menschen, die eine Politik unbeeinflusst von der Religion haben wollen - sollen deshalb alle Parteien mit einem christlich-sozialen Hintergrund oder auch mit einem rechts-christlich-sozialen oder einem christlich-nationalen Hintergrund sich freiwillig darauf verständigen, bei einer gewonnenen Wahl nicht anzutreten?

Ohne von dem Land viel mehr zu wissen als das was in einem Spiegel-Artikel oder in einem Bauern-Beitrag im Fernsehen behauptet wird, propagierst Du einen Demokratiebruch mit der Gefahr eines Bürgerkrieges - nur weil die ägyptischen Brüder nicht dem linken, alternativen, aufgeklärten Orientbild entsprechen wollen - das man sich hier bei uns von ihnen machen will? Ich habe diese ganze verkitschte arabischer Frühlung-Revolutionsdarstellung nie gut geheißen: ihr folgt wie das Amen in der Kirche die Enttäuschung und mit der Enttäuschung das, was Du hier dann allen Ernstes tatsächlich auch noch loslässt:

Antwort auf:
"Es müsste eine komplette Revolutionierung her und eine Regierung aufgebaut werden, die weder militärisch noch religiös motiviert ist! Im Moment gibt es deshalb diese grausamen Konflikte."


Es müsste eine Regierung her!

Und dann: "Und deshalb gibt es diese grausamen Konflikte".

Und es müßte eine komplette Revolutionierung her!

Und das alles dann immer wieder zurück auf "LOS!" - so lange bis das Ergebnis dem Bild vom aufgeklärten, linken, alternativen Orient mit einer schönen alten Religion - aber ohne Mittelalter und ohne Beschneidung - entspricht?

Manchmal frage ich mich wirklich, wie weit die Dawandisierung des Internets schon fortgeschritten ist: lies Dich dort mal durch die Foren und Blogs und Du weißt, wem das Internet gehört - alles handlich, niedlich und selbstgestrickt und jeder kauft jedem etwas ab, verteilt Herzen und irgendwer bekommt eine Provision dafür.

Antwort auf:
"Und nun erkläre mir einer bitte, inwiefern ich aufgrund dessen dass ich links und muslimisch bin, keine objektive Betrachtungsweise besitze…"


Liebe Jasmin, Du bist nicht nicht objektiv, Du weißt nur über Ägypten nicht mehr oder besser Bescheid wie jeder "normale" Deutsche/Österreicher auch. Daß man Muslima ist ist kein Grund jemanden für besonders dumm zu halten. Es ist aber auch kein Grund jemanden für besonders informiert zu halten über mehr als über sein muslimisches Leben, seine Familie und sein Umfeld. Außer man hat natürlich einen eigenen, besonderen Zugang: ich denke den hat beispielsweise eine Deiner Vormoderatorinnen, Muriel Ibrahim-Brunswig: sie war/ist mit einem Ägypter verheiratet und lebt in Ägypten - wenn ich mich nicht irre und sie ist noch Mitglied in diesem Forum.

Wenn sie hier sagen würde: diese Mist-Muslim-Brüder gehören von vorneherein verboten (wie bei uns unzählige Male die NPD verboten werden sollte und es dafür einen rechtsstaatlichen Weg gibt) - dann würde ich mich nicht wundern. Es könnte sogar sein, daß sie zum selben Schluß kommt wie Du (und ich höchstwahrscheinlich auch):

Es fehlt schmerzlich dieser Innenblick, der mehr ist Ablehnung, Wut, Zorn über das was in Ägypten passiert und der einem Orientierung geben könnte, die über das, was man in den Mainstream-Medien liest und sieht, hinausgeht.

Josi