die meisten Menschen der westlichen Welt haben Lesen und Schreiben gelernt und was können sie am allerwenigsten: Lesen und Schreiben.
Ich plädiere deshalb nicht für weniger, sondern für mehr Cafehausbesuche (nicht nur von marokkanischen Männern): dort wird das vermittelt und gelernt, was das Lesen und Schreiben um Längen schlägt. Palavern ist die Schule des Lebens, höchstwahrscheinlich sind palavernde Nationen deshalb auch um so vieles lebensklüger, friedfertiger, sitzen weniger Betrügern in den eigenen Reihen und unter Politikern auf. Außerdem (und daran sollte man sich ein Beispiel nehmen): alles, was einen Menschen festnageln könnte (e-mails! Faxe! Verträge! Ellenlange Postings unter nur einem Nick!) scheut ein Marokkaner wie der Teufel das Weihwasser.
Microsoft hat ein Patent darauf, das Bildungsniveau anhand von Facebook-Postings zu erkennen und dann Suchergebnisse anzupassen. Damit haben wir erreicht, was das Internet eigentlich aufweichen sollte: die Eliten bleiben unter sich.
Ich befürchte, da blieben in diesem Forum weniger als 35 - 40% übrig an deren intelligentem Schreiben Microsoft ein kommerzielles Interesse haben würde. Man wünscht sich ja durchaus die vormodernen Zeiten zurück als es noch üblich war, daß man seine Korrespondenz - auch die mit seinem Liebespartner - zu jemandem getragen hat, der das Metier beherrscht hat. Erstens kostet es was und man würde man es sich dann zweimal überlegen, ob man zum x-ten Mal so einem Schreiber sagt, er möge jetzt doch mal (sinngemäß) schreiben: "Muslime benehmen sich nicht gut und haben deshalb keine Existenzberechtigung. Würden sie sich gut benehmen, würde ich es mir nochmal überlegen". Und zweitens wäre man dann ja stadtbekannt in kürzester Zeit, weil so ein Schreiber abends auch zum Palavern ginge.
Antwort auf:
"Die meisten Menschen, die Matura gemacht haben, ganz zu schweigen von denen, die studiert haben, achten sehr auf Worte", erzählt Ekmann, "und das so sehr, dass sie übersehen, was im Gesicht zu lesen ist. Das ist so in allen zivilisierten Kulturen. Gesten sind kulturspezifisch, die Ausdrucksformen für ein Gefühl im Gesicht sind universell", erklärt Ekman. "Kulturelle Unterschiede gibt es dabei nur hinsichtlich dessen, inwieweit wir lernen, unseren Gesichtsausdruck zu kontrollieren"
Ein Cafehaus-Marokkaner hört nicht nur die 7% an Informationen, die ihm mit der Sprache vermittelt werden, der sieht auch jede kleinste Microinformation in den Gesichtszügen seines Gegenübers (ist dort ein Dirham-Zeichen oder keines, ist dort eine Wunde oder keine? Leuchtet da ein Visum auf oder eher der Parkautomat?) - weil er ohne die Entzifferung dieser Informationen unter lauter Psychologen und lie-to-me-Spezialisten verloren wäre. Sehr selten läßt mich ein Marokkaner auch einen kleinen Blick in sein Geheimwissen tun: Zum Beispiel seine Sichtweisen über Personen mit denen er nur ein paar Millisekunden verkehrt hat, mit denen ich aber durchaus Verträge machen wollen würde und die dann plötzlich (so als wäre eine Zecke aufgewacht und abgesprungen) bis in die oben beschriebenen Microgesichtsausdrücke imitiert werden: keine Ahnung wann und wo das aufgeschnappt wurde.
Ich schaue dann diesem Nachmachtheater zu, bin fassungslos, es weicht mir das Blut aus allen Adern, ich lache mit (künstlich, sehr künstlich), verabschiede mich dann aufs Klo* und versuche nicht daran zu denken, was ich gestern oder vorgestern oder überhaupt schon immer alles gesagt und gestikuliert und behauptet habe: schrecklich, ganz schrecklich und einer der größten Fehler, den man machen kann - nie daran zu denken, was ein Marokkaner alles sieht (steht auch bei Ekmann: man kann es üben und manche sehen alles, wahrscheinlich kennt er noch keine Marokkaner: die würden sich hübsch bedanken, wenn sie außer Lesen und Schreiben auch noch sowas Läppisches wie Hellsehen LERNEN sollten).
Niemand kann schöner zeigen, was Hausmeisterphilosophen alles können - und Arbeitslose - als Luciano de Crescenzo in "Und also sprach Bellavista" und warum das Palavern (und nicht das Lesen- und Schreibenkönnen) - auch und vor allem von Männern mit Männern, untereinander, miteinander, übereinander - so wichtig ist: es ist lebendig, es relativiert, es befriedet, es macht glücklich und das alles im ständigen Aufeinanderzugehen und Lösen aller Welträtsel.
Josi
* wem jetzt auffällt, daß ich ziemlich viel auf dem Klo nachdenke und lese: das wiederum ist etwas, was ich jedem Marokkaner voraus habe und was er nie verstehen wird ("was machst Du da eigentlich immer?").